Gesammelte Werke 2


"Sooo jung bist du auch nicht mehr"

Elfriede Hammerl über den merkwürdigen Umgang in die Jahre gekommener Ehemänner mit dem Lebensalter ihrer viel jüngeren Frau


Mit 48 heiratete Willi eine Zwanzigjährige, das tat seinem Ego gut.

Jetzt ist die Zwanzigjährige 30, und Willi weist sie unentwegt mit Genuß darauf hin, daß sie auch nicht mehr die jüngste ist.

Seinerzeit führte Willi seine junge Frau im Bikini vor wie einen preisgekrönten Pudel, und wenn sie eingeladen waren und die Hausfrau dort in Willis Alter war, sagte Willi hinterher: "Hast du ihren Hintern gesehen? Diese Mutti-Figuren- schrecklich!"

Nun sagt Willi: "Mit dem kurzen Rock willst Du auf die Straße gehen? In deinem Alter? Mach dich doch nicht lächerlich!"

Und Willi sagt auch: "Sei nicht leichtsinnig! Nimm einen Schal! Du kommst jetzt in die Jahre, da darf man seine Gesundheit nicht mehr aufs Spiel setzen!"

Und Willi fragt entgeistert: "Motorradfahren? Hast du sie nicht alle? Die Leute werden dich für verrückt halten. Sooo jung bist du auch nicht mehr!"

Manchmal sagt Willi sogar: "In unserem Alter hat man gerne seine Ruhe."

Jetzt rächt Willi sich dafür, daß seine Frau fast 30 Jahre nach ihm auf die Welt kam und das Leben noch vor sich hatte, als seines schon zur Hälfte gelaufen war. Jetzt ist für sie auch schon alles mögliche gelaufen, ätsch, vielleicht noch nicht das halbe Leben, aber unbestritten ein größerer Teil davon als für die langmähnigen Studentinnen, auf deren knackige Kehrseiten Willi gerne aufmerksam macht.

Ihre Kehrseite sei ebenfalls knackig, wendet Willis Frau trotzig ein. Dann grinst Willi träumerisch, murmelt was vom unvergleichlichen Schmelz der Jugend und fügt tückisch hinzu: "Wir werden alle älter, Liebling. Da gibt es keine Ausnahmen."

Je mehr Willi sich einem Alter nähert, in dem vielleicht nur noch Güte eine junge Frau an seiner Seite hält, desto vehementer besteht er darauf, daß seine Frau gar nicht mehr jung ist, also nicht gütig sein muß, sondern froh sein kann, mit einem Mann wie Willi gemeinsam alt werden zu dürfen. Willi will der Gütige sein.

Vielleicht glaubt er ja auch wirklich, daß 30 alt bedeutet. Hätte Willi keine derart paranoide Beziehung zu den Jahren, hätte er seine Midlife-Krise vielleicht gar nicht durch Heirat mit einer Zwanzigjährigen bekämpfen müssen.

Jedenfalls betet Willi sich und seiner Frau beharrlich vor, daß ein Mann mit 58 doch eigentlich noch ziemlich jugendlich ist, während eine Frau ab 30 auf jeden Fall als ältere Frau betrachtet wird. Hinterhältig beteuert Willi: "Das ist nicht meine Meinung, verstehst du. Für mich spielt das Alter eigentlich keine Rolle, ich denke gar nicht darüber nach, ob du nun alt bist oder jung. Aber die anderen sind gnadenlos, leider. Ich will ja nur nicht, daß du dir vor den anderen eine Blöße gibst."

Mit Behagen malt Willi seiner Frau aus, was sie erwarten würde, hätte sie ihn nicht an ihrer Seite: ein einsames, frustriertes Leben als alte Schachtel, an der niemand interessiert wäre, weil ihr einstiges einziges Kapital, ihre Jugend, perdu ist.

Besonders eifrig gibt Willi sich derartigen Schilderungen hin, sobald er seine Frau bei einem Gespräch mit einem jüngeren Mann ertappt hat. 'Jünger' steht für jünger als Willi. Jeder Mann, der jünger ist als Willi, ist in Willis Augen für eine Frau im Alter seiner Frau zu jung. "Was, glaubst du, sieht der wohl in dir?" fragt Willi höhnisch. "Eine Weihnachtsgans zum Ausnehmen. Hast du das nötig?"

Und eindringlich warnt Willi seine Frau davor, sich durch angeregte Gespräche mit jungen Männern dem Verdacht auszusetzen, sie könne eines von diesen schamlos gierigen abgetakelten Frauenzimmern sein, die sich bar jeder Würde an arglose Ödipusse heranmachen.

So was wirke schon bei Joan Collins rufschädigend, sagt Willi; wie also erst bei der Durchschnittsfrau.

Willis Frau durchschaut natürlich, daß Willis Gerede der Abwehr von Willis Ängsten dient, aber trotzdem bauen seine ständigen Attacken auf ihr Selbstvertrauen sie nicht gerade auf. Außerdem: Neigte sie zur Auflehnung gegen Vaterfiguren, hätte sie Willi schon viel früher abblitzen lassen.

Also passiert es ihr immer häufiger, daß ihr beim Blick in den Spiegel die resignierte Person entgegenschaut, die Willi aus ihr zu machen im Begriff ist.

Sie fröstelt.

Willi legt ihr tröstend eine Jacke um ihre Schultern. "Keine Bange, Liebling. Das ist ganz normal. Du kommst halt in den Wechsel."




zurück zum Start
Heute schon mal nachgedacht?
 
NachDenkSeiten - Die kritische Website
Wochenweisheit
 
„Bleibe jeder mir ferne,
der meint,
ich sei für seine Langeweile
gerade gut.“
Emil Gött
 
150930 Besuchersind schon angefahren!
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden